Einst Jagdtrophäe, jetzt Janet Jackson | Schwarzwälder Post

2023-01-12 16:02:01 By : Mr. Lewis Yang

»Das Rehfell kriegen wir am ganzen Stück angeliefert«, erklärt Regina Erb. »Die Art, wie das dann geschnitten, gedreht und schließlich getackert oder per Draht gewickelt wird, zu entweder einem Büschel oder zu einer Halb rosette – das beherrscht außer uns sonst niemand mehr.«

Die in Zell-Unterharmersbach ansässige Hutschmuckmanufaktur der 64-Jährigen geht auf eine Firmengründung ihres Großvaters anno 1924 zurück und ist eine der weltweit letzten, die dieses Handwerk noch ausüben.

Zu Gestecken mit – ausdrücklich nicht unter Naturschutz stehenden – Federn wird das Rehfell beispielsweise verarbeitet. Zu Gestecken, die im Trachten- sowie im Souvenirbereich gefragt sind. Und seit 2014 auch von internationaler Prominenz.

Dafür verantwortlich ist eine hoch angesehene belgische Hutfabrik, die Kunden wie das belgische Königshaus oder das Luxussegment in Paris und London beliefert. Auch Sängerin Janet Jackson – jawohl, die modebewusste Schwester des legendären »King of Pop« Michael Jackson – trägt von Unterharmersbacher Kreationen verzierte Hüte.

Wie zu Zeiten des sudetendeutschen Großvaters entstehen die filigran wirkenden Schönheiten in reiner Handarbeit und mit viel Fingerfertigkeit, denn auch die Fertigungstechniken sind dieselben geblieben. Zwar habe das Traditionelle nach wie vor Bestand, betont Regina Erb, dennoch müsse man sich dem Markt anpassen, mit modernen bunten Designs. Daher wird das Rehfell heutzutage auf Kundenwunsch mit eingefärbten Federn kombiniert, in strahlendem Türkisblau beispielsweise, oder gar in Neonfarben.

Tiefschwarz hingegen die »Schützenfedern«: gefärbte Gänsefedern, denen Regina Erb mit einem aufgeklebten falschen Daumennagel die erforderliche schwungvolle Krümmung verleiht. Damit sie – ebenfalls mit Rehfellrosette versehen – zu Schützenuniformen gehörende Hüte schmücken, in Mittel- und Norddeutschland ist das Tradition.

Zu Hoch-Zeiten waren zwanzig fest angestellte Mitarbeiter und zwanzig Heimarbeitskräfte bei der Hutschmuckmanufaktur in Lohn und Brot. Heute sind es nur noch drei Heimarbeitskräfte, und im stark verkleinerten Produktionsraum werkeln eine Vollzeitkraft und drei Teilzeitkräfte gemeinsam mit der Manufakturchefin. An Holztischen, denen man ihren zig Jahrzehnte währenden Einsatz ansieht. Regale voller robuster, teils vergilbter Pappschachteln, in denen Federn und Zubehörteile in unterschiedlichen Verarbeitungsgraden lagern, tun ihr Übriges, Zeitungspapier und Mottenpulver schützen die tierischen Schätze.

»Manchmal schäme ich mich, dass hier alles so alt aussieht«, schmunzelt Regina Erb, »aber dann denke ich wieder, es ist schön, so alte Sachen zu haben.« Kein Wunder – der Raum, in dem stets bei leiser Musik gearbeitet wird, wirkt heimelig, strahlt Geborgenheit aus.

Einen weiteren Zweig des kleinen aber feinen Betriebs stellen Gamsbärte in allen Längen und Variationen dar. Und mit denen hatte dereinst alles begonnen: Es war im Sudetenland, dass Erbs Großvater eine Firma pachtete, die Autowaschbürsten herstellte. Und dass er die Idee des ehemaligen Firmeninhabers umsetzte, Haare zu färben.

Daraus wiederum entstand der Einfall, »Gamsbärte und weiteren Hutschmuck zu erzeugen, was damals sehr gefragt war«, wie Regina Erb aus den Aufzeichnungen ihres anno 2007 mit 93 Jahren verstorbenen und seither tief vermissten Vaters erzählt.

Gamsbart – das ist ein vor allem bei männlichen Trachtenträgern gebräuchlicher Hutschmuck. Aus den Rückenhaaren erwachsener Gämsen – jener hauptsächlich im Alpenraum beheimateten, ziegenartigen Klettertiere – wird er gebunden. »Echten Gamsbart haben wir aber nie gemacht«, so die Inhaberin eines Handwerksunternehmens, das sich seit 1940 »Franz Blumtritt & Söhne« nennt, 1950 in den Westen übersiedelte und 1954 seine endgültige Bleibe in Zell fand.

Doch auch die Herstellung imitierter Gamsbärte ist eine Kunst für sich. »Als mein Großvater damit anfing, gab es schon einen Konkurren-ten, der im Souvenirbereich Gamsbärte verkaufte, die aus dem gefärbten Haar anderer Tiere bestanden«, erzählt Regina Erb, »dieser Mann ist aber daran gescheitert, dass er die Farbe falsch anwandte.«

Diese – gesundheitlich völlig unbedenkliche – Farbe nämlich darf nicht gekocht werden. Sonst zerfällt sie, wie Erbs Opa herausfand. Er war ein Tüftler, dieser Mann, der in seinem Hobbyraum im Keller »immer alles Mögliche ausprobierte«.

Heute wie damals werden aufgrund der Erkenntnisse des Urahns weiße, hauptsächlich von Pferdemähnen stammende Haare in Büschel gefasst und in eine Farbe getunkt, die sie oxidieren und dadurch braun werden lässt. Die im Büschel innenliegenden Haare bleiben etwas heller. Werden sie von Könnerhand anschließend »anders gebunden«, ergibt sich der für einen Gamsbart typische Farbverlauf.

Wie aber entsteht die Imitation des sogenannten Reifs? Der hellen Spitzen also, die bei echtem Gamshaar nur wenige Millimeter lang sind? Auf Frisörwissen griff Regina Erbs Großvater auch hier zurück, indem er die Farbe an den Rändern der Haarbüschel mit Wasserstoffperoxyd wieder herauszog.

Eine Jagdtrophäe war der Gamsbart ursprünglich. Ebenso wie noch heutzutage der Saubart. »Wenn die Jäger eine Wildsau geschossen haben, dann bringen sie uns selbstgerupfte Borsten, meist die längsten aus der Mitte des Rückens«, berichtet Erb, »manchmal mit Blut, Tannennadeln und allem Möglichen darin, mit Fett und mit der Unterwolle.«

Das Material wird gewaschen, desinfiziert, die Unterwolle ausgekämmt und schließlich ein Saubart daraus gebunden – eine hutschmückende Trophäe nach alter Tradition. So wie sich Jäger einst zum Beispiel auch mit den Federn eines erlegten Fasans zu schmücken pflegten.

Die ursprünglich als Schutz gedachte Kopfbedeckung entwickelte sich zu einem vielfach getragenen modischen Accessoire, »und der Federschmuck am Hut war ein Verkaufsschlager«, so Regina Erb. Dann aber begann das Tragen eines Hutes bei Mann und Frau unmodern zu werden. Als die gelernte Bankkauffrau und Finanzbuchhalterin die Firma im Jahre 1985 übernahm, gab es die ersten Pleiten von Hutfabriken.

»Ich hab mich gesund geschrumpft«, konstatiert die Manufakturleiterin, die ihr vielfältiges Tun in der Firma nicht mehr als Arbeit sieht, »ich mache das gerne.« Und die wegen fehlender Nachfolge schon die eine oder andere Träne vergossen hat. »Nächs tes Jahr könnte ich meine Rente beantragen, aber ich wart´ noch«, lacht die Mutter zweier Töchter leise, »nach Corona will ich noch ein paar gute Jahre mitmachen.«